Trauer hat dein Urteilsvermögen vollständig verschleiert. Mehrmals musstest du bei deiner Arbeit innehalten, die Tränen wegblinzeln und von neu beginnen. Du verstehst es nicht. Verstehst nicht, wie Yara von einer Mission zurückkehrt, munter ihre Familie begrüßt, nur um noch am selben Abend mit einem Fieber zusammenzubrechen. Sie war doch klug, wie konnte es ihr also entgehen, dass die Feinde sie vergifteten? Viel wichtiger, wie konntest du nicht merken, dass das Lächeln deiner besten Freundin, eher Schwester, nicht ihre Augen erreichte? Dass ihre Erschöpfung weit über das normale Maß hinaus ging.

Die Tränen, die irgendwann nur noch lautlos über dein Wangen flossen, waren schon längst getrocknet, fehlte deinem Körper doch die Kraft mehr zu produzieren. Deine Gedanken waren wie leergefegt und deine Hände bewegten sich von selbst. Kein Gedanke wurde daran verschwendet was genau du gerade am tun warst. Selbst heute, wenn du an den Moment zurückdenkst, kannst du dich nur noch verschwommen daran erinnern, wie du nach deinem Puppen Werkzeug gegriffen hast. Schwammig ist die Erinnerung daran, wie die Stimme deines Großvaters, schon längst verstorben, dich durch den Prozess führte. Wie Erklärungen wieder kamen, als er dir erzählte, was genau eine menschliche Puppe ist. Und auch als die Tat vollbracht war, erinnerst du dich nicht daran, ob du stolz vor deinem Meisterwerk standest. Du vermutest, dass die Erschöpfung dich eingeholt hat und in einen unruhigen Schlaf gezogen hat, mit dem Werkzeug noch in der Hand und über deine beste Freundin gebeugt.

In der Position, in der du eingeschlafen warst, hast du dich auch wiedergefunden. Dein Kopf ruhte auf Yaras Oberkörper, anders wie in deinem Traum, hebte und senkte sich ihre Brust nicht. Mit dem Morgen kam die Realisation, was du deiner Freundin angetan hattest. Reue überschwemmte dich gepaart mit einem überwältigten Gefühl der Scham. In deiner selbstsüchtigen Trauer, hast du der liebsten Person in deinem Leben, die Möglichkeit genommen ins Kōdo zu reisen und irgendwann ihren Einzug ins Jōdo zu finden.

Du konntest deiner Familie, ihrer Familie und dem Glauben in deinem Dorf nicht mehr unter die Augen treten. Nicht so, nicht überhaupt. Auch wenn es eine Entscheidung war, die in diesem Moment gefallen ist, war sie überraschenderweise kalkuliert und weniger impulsiv, als man denken konnte. Deine Sachen waren schnell gepackt, viel wolltest und konntest du nicht mitnehmen. Noch bevor die Sonne also die Dächer des kleinen Dorfes in ihren schein hüllte, warst du in den Nebel der Morgenstunden verschwunden. Du hast dir geschworen, erst dann wieder zurückzukehren, wenn du deinen Fehler wieder gutgemacht hast. Wenn du zurück zu deinem Glauben gefunden hast. Oder wenn jeder, der sich daran erinnerte, nicht mehr war. Bedeutete deine Rückkehr doch, dass du von Yara ablassen musstest. Die Gewissheit aber, dass sie dich stets begleitete, physisch im Hier und Jetzt, spendet dir den Trost, den du zum weitergehen brauchst.